Internationale Tagung: Lost in Perfection - Abstracts
Ada Borkenhagen (Leipzig): Optimierte Körper – Todesabwehr im Kontext von Schönheitsmedizin
Das Selbstdesign und die Optimierung unserer Körper werden in den kommenden Jahren zu einem Megatrend. Dies ist das Ergebnis der Studie „Körperwelten 2020“. Die erfolgversprechendsten Zukunftsmärkte sind danach Intimoperationen und die Professionalisierung des Bodytunings. Körperoptimierung ist zum allgegenwärtigen Heilsversprechen des 21. Jahrhundert avanciert. Besonders auf dem Feld der Schönheitsmedizin wird das Heilsversprechen ewiger Jugend und der Überwindung des Todes ganz konkretistisch in Szene gesetzt. Anhand der Analyse der erfolgreichen Reality-Schönheitsoperationsshow „The Swan – Endlich schön!“ wird der kontinuierlichen Arbeit am Körper im Dienste der Schönheit wie auch der Inszenierung einer Wiedergeburt mittels schönheitschirurgischer Eingriffe nachgegangen. Dabei kommen auch die Kosten des auf den Körper bezogenen "pursuit of happiness" in den Blick.
Heinz Bude (Kassel): Angst als Schlüssel zum Sinn des Ganzen
Angst ist nicht allein Ausdruck einer Bedrohung, für die man Abhilfe sucht, sie stellt im Verständnis der existenzphilosophischen Tradition immer auch einen privilegierten Zugang zum Dasein des modernen Menschen dar, der sein Leben, wie Max Weber in heroischem Ton sagt, selbst führen muss. Vor diesem Hintergrund fragt der Vortrag danach, welche Art der Sinnfrage die Erfahrung der Angst für den flexiblen Menschen im Kapitalismus der Vermögensindividualisten stellt.
Eve Chiapello (Paris): Optimierung im Kontext von Finanzialisierung
Im Vortrag wird die besondere Form von Optimierung fokussiert, die im Kontext des Finanzkapitalismus erforderlich wird. So impliziert das Konzept der Optimierung eine Kalkulation, in der Kosten oder Ressourcen mit Erträgen abgeglichen werden. Im Kontext des Finanzkapitalismus erfolgt diese Kalkulation unter dem Vorzeichen des „Investments“. Investments sollen Erträge erzielen und eben diese Optimierungslogik legt nahe, nur in jene Projekte zu investieren, die auch die höchsten Erträge erwarten lassen. Zu beobachten ist eine Entwicklung neuer metrischer Erhebungsinstrumente, die auf die Ausweitung eines Profitdenkens auch auf soziale und ökologische Bereiche hindeuten. Dieser Annahme folgend entsteht über die Ausdehnung des Ertragsgedankens auch auf Bereiche jenseits des rein Ökonomischen zeitgleich eine Dynamik, die auf die Kolonisierung unseres Psychischen abzielt. Die Optimierungsdynamik hat zur Folge, dass Individuen Handlungen unterlassen, wenn ihre Resultate entweder als nicht hoch genug oder als nicht gesichert genug erscheinen. Insbesondere im Bereich politischer Handlungsprozesse gewinnt dieser virulente Denkansatz ein zunehmendes Ausmaß. Letztlich impliziert ein Denken in Begriffen des Investments die Notwendigkeit, Individuen nicht ihren Bedürfnissen entsprechend, sondern gemäß zu erwartender Erträge zu behandeln. Diese Situation lässt sich als die jüngste Entwicklung einer projektbasierten Gesellschaft bezeichnen. Individuen werden nicht nur dazu aufgefordert, zu Unternehmern ihrer selbst zu werden, sondern müssen den Wert ihrer Person für Investoren auch dadurch nachweisen, dass sie zukünftig hohe Erträge erwirtschaften. Dies bedeutet, Menschen als Humankapital anzusehen.
Alain Ehrenberg (Paris): Die beiden Bedeutungen des Begriffs Sozialpathologie – zur Anthropologie des Unglücks in individualistischen Gesellschaften
Durch die zunehmende Bedeutung psychiatrischer Syndrome sind gesellschaftliche Spannungen verstärkt in den Vordergrund geraten. Die meisten der unter der Bezeichnung „mental health“/„psychische Gesundheit“ firmierenden Störungen – Depression, Sucht, ADHS und andere – werden hinsichtlich sozialer und politischer Themen zur Bestimmung dessen herangezogen, was richtig, fair, unfair, gut oder schlecht ist. Sie werden als Instrumente der gesellschaftlichen Selbstbestimmung in Anspruch genommen und zum Gegenstand ebenso heftiger wie anhaltender gesellschaftlicher Kontroversen gemacht. Die Kontroversen kreisen um die Annahme, dass die psychischen Zustände nicht nur zu therapieren, sondern auch auf soziale Verhältnisse zurückzuführen sind, deren Werte und Normen die Grundlage unseres Lebenswandels bilden. Es sind die hier verhandelten Werte, auf denen unsere sozialen Beziehungen basieren – in der Schule, in der Familie und am Arbeitsplatz, letztlich in unserer gesamten Gesellschaft. Obwohl die erwähnten Störungsbilder Individuen betreffen, manifestiert sich in ihnen zugleich ein gesellschaftliches Übel, mithin ein Problem, das sozialer, mehr noch: soziopolitischer Natur ist. Die Frage nach dem Wert sozialer Beziehungen, ihrem humanen Wert, darf nicht außer Acht gelassen werden: Denn diese Werte sind ein inhärentes Charakteristikum der sozialen Subjekte; sie sind ihrer grammatischen Struktur eingeschrieben. Der Vortrag geht der These nach, dass Entscheidungsprozesse im Bereich „mental health“ das Verhältnis von individuellem Leid und sozialen Beziehungen verhandeln.
Eva Illouz (Jerusalem): Intimität und Selbst – vom Verblassen zweier Fluchtpunkte am Horizont
Wenn das spätmoderne Selbst zur Plattform der unendlichen Perfektionierung des Selbst geworden ist, so lässt sich diese These sicherlich im Bereich der Intimität am eindrücklichsten belegen. Denn Intimität macht die permanente und aufmerksame subjektive Selbst- und Fremdbeobachtung erforderlich. Im Vortrag wird die Frage aufgeworfen, ob eine solche auf Perfektionierung ausgerichtete Selbst-Beobachtung tatsächlich die Entstehung eines ontologischen Sicherheitsgefühls gewährleistet oder nicht vielmehr, so meine These, Unsicherheit und einen Mangel an Vertrauen evoziert.
Vera King, Benigna Gerisch, Hartmut Rosa u.a. (Hamburg, Berlin, Jena): ›Es gibt viel Fortschritt, aber das heißt nicht, dass es besser wird.‹ Widersprüche der Perfektionierung in der beschleunigten Moderne
Fortwährende Steigerungen von Leistung und Effizienz sowie stete Selbstverbesserung werden gegenwärtig als notwendig erachtet, um mithalten zu können im beschleunigten Wettbewerb. In verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen und in der individuellen Lebenspraxis entstehen somit vielfältige Optimierungszwänge und neuartige Perfektionierungsbestrebungen. So wirkt sich der Druck zur steten Verbesserung und Effizienzsteigerung nicht nur in Beruf und Bildung aus, sondern auch in der Familie, in Eltern-Kind- und Paarbeziehungen, im Verhältnis zu Körper und Selbst, sowohl im Öffentlichen als auch im Privaten. Von besonderem Interesse sind hierbei die Wechselbeziehungen zwischen Kultur und Psyche sowie die Verschiebungen im Verständnis von ‚Pathologie‘ und ‚Normalität‘. Vor diesem Hintergrund werden im Vortrag psychische und soziale Bedingungen und Folgen, Widersprüche und Risiken von Optimierung thematisiert.